"Ein langer Weg"

7 Fragen an Dr. Mara Terzoli, Geschäftsführerin von Saint-Gobain Weber

  1. Viele Unternehmen erklären jetzt schon, dass sie klimaneutral sind, Saint-Gobain Weber hat sich dies für 2045 als Ziel gesetzt. Ist das nicht zu wenig ambitioniert oder zu spät?

    Mara Terzoli: Auf den ersten Blick scheint es kein besonders ehrgeiziges Ziel, den gesetzlichen Rahmen voll auszuschöpfen. Aber wir bewegen uns in der Bauindustrie, einer sehr rohstoff- und energieintensiven, produzierenden Branche. Das lässt sich nicht mit einem Start-up im IT- oder Finanzsektor vergleichen. Ich denke, dass wir auf einem langen Weg sind und dass wir den Zeitrahmen bis zu unserem Ziel realistisch gewählt haben. Dafür ist die Bauindustrie umgekehrt auch ein großer Hebel: Am Bau werden jeden Tag riesige Volumina bewegt.  Eine, wenn auch kleine, Verbesserung in diesen Prozessen bewirkt dabei mehr, als wenn eine Einzelperson ihr Leben lang Abfall trennt. Ich will nichts beschönigen, aber wir sollten auch nicht vergessen, welcher Wandel schon vollzogen wurde: Noch vor 10 Jahren wäre die Idee, als Baustoffhersteller klimaneutral zu werden, in der Branche als völlig utopisch abgetan worden – heute arbeiten wir daran.

  2. Können Sie uns einige konkrete Beispiele nennen?

    Mara Terzoli: Bei unseren Produkten achten wir schon länger auf Nachhaltigkeit in der Entwicklung. Die AquaBalance-Technologie haben wir beispielsweise 2011 eingeführt, lange vor dem Pariser Klimaabkommen und Fridays for Future. Manches vielleicht auch zu früh: Die CO2-reduzierten BlueComfort-Fliesenkleber stießen bei ihrer Einführung 2012 auf geringes Interesse bei der Zielgruppe der Fliesenleger – das Bewusstsein dafür war einfach noch nicht vorhanden. Durch unsere AquaBalance-Putze wurden bislang mehr als 82 Tonnen Biozide eingespart. 2019 führten wir mit weber.therm circle das erste recyclingfähige Wärmedämm-Verbundsystem ein. Dies bietet den Einstieg in einen Rohstoffkreislauf in einem Bereich, in dem bislang unglaubliche Mengen an Deponieschutt produziert werden. Viele unserer Systeme tragen den Blauen Engel, einige auch renommierte Auszeichnungen wie den Bundespreis ecodesign oder den Innovationspreis Klima und Umwelt.

    Zum Ziel der CO2-Neutralität bis 2045 in Deutschland (weltweit bis 2050) verpflichteten wir uns mit unserem Mutterkonzern Saint-Gobain in 2018. Mit der systematischen Durchleuchtung unseres Produktportfolios und unserer Prozesse begannen wir 2019. Ebenfalls seit diesem Jahr trifft sich regelmäßig ein Lenkungsausschuss der Geschäftsleitung, der die Informationen zum Stand unserer Nachhaltigkeitsaktivitäten bündelt und ggfs. in den Maßnahmen nachjustiert.

  3. Sie erwähnen Umweltkennzahlen. Um Verbrauchern Orientierung zu geben, braucht es transparente und einheitliche Nachhaltigkeitsbewertungen. Ein Ansatz dazu sind die Umweltproduktdeklarationen oder Environmental Product Declarations. Was halten Sie davon?

    Mara Terzoli: Wir verfügen bereits für die Mehrheit unserer Produkte über EPDs auf Verbandsebene. Mit ihnen gibt es Nachhaltigkeits-Nachweise, die von externen Instituten geprüft werden, und damit für für eine Produktgruppe eine erste Orientierung bieten. Das ist notwendig und begrüßenswert. Daneben gibt es die Möglichkeit, Einzel-EPDs für Produkte oder Systeme zu erstellen.

    Die Erstellung von Einzel-EPDs ist allerdings gerade für Systeme sehr komplex. Zum anderen sind EPDs auch sehr technische Dokumente. Sie umfassen etwa 15-20 Seiten technischer Daten und Beschreibungen und sind nur für sehr versierte Kenner der Materie wirklich aussagekräftig. Wir setzen daher individuelle EPDs nur gezielt ein und ergänzen zusätzlich die Technischen Merkblätter unserer Produkte um einige prägnante Nachhaltigkeitskennzahlen. Wir denken, dass dies für die meisten Nutzer mehr Transparenz schafft.

  4. Haben Sie Wünsche an die Politik?

    Mara Terzoli: Um die umfangreichen Fördermittel für die energetische Sanierung, die aktuell von EU und Bundesregierung zur Verfügung gestellt werden, möglichst umfassend und effizient zu nutzen, wäre es sinnvoll, den Einsatz von besonders umweltschonenden Baustoffen mit speziellen Konditionen zu fördern. D.h. nicht nur die energetische Sanierung zu fördern, sondern auch zu bewerten, womit saniert wird. Viele Kommunen tun dies bereits, aber eine einheitliche Regelung wäre von Vorteil. Aber wir möchten nicht nur auf die Politik verweisen, sondern uns mit der Frage befassen, was wir als Unternehmen heute schon tun können.

  5. Thema Verpackung: Weber bietet seit einigen Jahren viele seiner Boden- und Fliesenverlegeprodukte in Foliensäcken an, statt wie zuvor in Papiersäcken. Ist das nicht ein Rückschritt in Sachen Nachhaltigkeit?

    Mara Terzoli: Dies ist ein gutes Beispiel dafür, dass es sich lohnt, genau hinzuschauen, bzw. nachzufragen. Die auf dem Bau viel verwendeten Säcke für Trockenmörtel bestehen in der Regel eben nicht nur aus Papier, sondern aus einem Verbund von dickem Papier und einer sehr dünnen innenliegenden Plastikfolie. Diese lassen sich schlechter recyceln als die reinen Foliensäcke. Wir nehmen die Foliengebinde zurück und führen sie über einen Dienstleister der Wiederverwertung zu. Voraussetzung ist natürlich wie überall, dass sie auch sortenrein zurückgegeben werden. Da ist in der Baubranche durchaus noch Luft nach oben.

    Auch sonst ist einiges nachhaltig, was gar nicht als solches wahrgenommen wird, beispielsweise, dass wir unsere Trockenmörtel zum überwiegenden Teil in Silos auf die Baustellen bringen, unsere Bodenprodukte in den weber.floor PumpTrucks. Es wird viel über Verpackungsreduzierung gesprochen, aber hier ist ein gewaltiges funktionierendes Mehrwegsystem etabliert, das pro Jahr viele Tonnen an Säcken oder Eimern einspart.

  6. Die „low hanging fruits“ sind bald gepflückt. Dann stehen Unternehmen vor Entscheidungen, wo sie für mehr Nachhaltigkeit größere – meist finanzielle – Opfer bringen müssen.

    Mara Terzoli: Das stimmt, und davor drücken wir uns nicht. Aber wir müssen weiter die Chance haben, gewinnbringend zu wirtschaften. Nachhaltige Entwicklung umfasst auch stabile wirtschaftliche Verhältnisse, nur dürfen diese nicht zu Lasten der Umwelt gehen. Ich bin angesichts der hohen Innovationsfähigkeit, die Weber immer wieder bewiesen hat, sehr zuversichtlich, dass wir es schaffen werden, ökologische und ökonomische Bedürfnisse zu vereinen.

  7. Im Prinzip kann jedes Unternehmen sofort klimaneutral werden – indem es seinen CO2-Ausstoß durch CO2-Zertifikate kompensiert. Warum tut Weber nicht einfach das, anstatt mühsam seine Prozesse zu verändern?

    Mara Terzoli: Wenn wir nur an der einen Stelle kompensieren, was wir an der anderen verursachen, gewinnt die Umwelt auf Dauer nichts. Wir müssen unsere Einstellung tiefgreifend verändern, das bringt zwangsläufig ein anderes Konsum-, aber auch ein anderes Produktionsverhalten mit sich. Daher verfolgen wir ganz klar den Ansatz: Vermeiden und Reduzieren geht vor Kompensieren. Wir werden ausgleichende Maßnahmen erst als allerletztes Mittel ergreifen, wenn wir sicher sind, unser Innovations- und Reduktionspotenzial voll ausgeschöpft zu haben. Und so weit sind wir noch lange nicht.